Horst Thürheimer
Lebensbaum & Feuerzungen
22.3. – 9.6.2013
DIE AUSSTELLUNG WURDE VERLÄNGERT BIS ZUM 7.7.2013
Mit seiner Neuinterpretation eines der traditionellsten Themen der christlichen Ikonographie, den 14 Stationen des Kreuzweges Jesu, hat Horst Thürheimer für die katholische Kirche St. Florian in München/Riem 2010 eine radikale und kraftvolle Interpretation des Spannungsfeldes zwischen menschlicher Leiderfahrung und christlicher Heilshoffnung gefunden. Die überlieferten Bildformen des Kreuzweges sind streng narrativ geordnet und illustrieren die vorgegebenen Stationen des Leidensweges Christi. Seit dem 17. Jahrhundert gehören sie zur obligatorischen liturgischen Ausstattung eines Kirchenraumes und waren mit ihrer konkreten Erzählung über Jahrhunderte fester Bestandteil des katholischen Bild- und Kultgedächtnisses.
Die gegenwärtige Auflösung, ja die Dekonstruktion von katholischen Bilderwelten und deren liturgische Entkoppelung, stellt jeden zeitgenössischen Künstler in der Auseinandersetzung mit dem Thema Kreuzweg vor ein Paradoxon: den Anachronismus von der obligatorischen bildlichen Umsetzung einer heute immer weniger geübten Andachtsform. Horst Thürheimer hat sich diesem Paradoxon bewusst gestellt und konfrontiert uns mit seiner ganz eigenen Interpretation und Blickweise. Nicht mehr das illustrativ-äußere Abbilden einer linearen Bilderzählung, sondern das verinnerlichte Reflektieren der menschlichen Grunderfahrung von Grausamkeit, Leid und Tod, sind leitender Impuls seines künstlerischen Ausdrucks. Das Diözesanmuseum Freising zeigt in dieser Ausstellung Entwürfe und Stationen dieses Schaffensprozesses, eingebettet in den Kontext der Bilderwelt Horst Thürheimers. Einer Welt, die uns in den subtilen Zeichnungen des Künstlers eine fast poetische Verheißung vor Augen führt, die nie konkret und doch erahnbar, die nie klar religiös definiert, aber doch spirituell ist. Eine Welt, die in den kraftvollen, ja manchmal aggressiven großformatigen Werken die Gebrochenheit und Verletztheit menschlicher Existenz in geradezu archaischen Bedrohnungsszenarien münden lässt. Endzeit, Apokalypse, Erlösung, Heil? Thürheimer bleibt bewusst unentschieden und überlässt dem Betrachter die Entscheidung.
In seinem Kreuzweg hat Horst Thürheimer diese Gegensätze in eine künstlerische Synthese verwandelt. Hier erscheinen sie als komplementäre Bezogenheit. Er nähert sich damit dem Christusmysterium in revolutionärer Weise und lässt die uns heute überholt scheinenden narrativen Strukturen religiöser Bildsprache weit hinter sich, in dem er sie auf die Grundform des Kreuzes und des Weges reduziert. Reduktion auf Wesentliches zeichnet das Werk des Künstlers aus. Vom
äußeren Sehen zum inneren Erleben – dazu fordert uns Horst Thürheimer heraus.